Artikelbilder: © [Alisa Sonntag]

In 4640 Kilometern über den Balkan

Reisen

Drei Wochen auf dem Balkan sind wie drei Wochen unablässiges Achterbahnfahren, meint Alisa von Whothefckisalice: Auf jedes Hoch folgt ein Tief und immer, wenn du denkst, ah, so läuft das also – kommt alles anders. Aber wie das mit dem Achterbahnfahren so ist: Allerspätestens wenn es vorbei ist und du, leicht grün um die Nase, aussteigst, kommen die Endorphine und du denkst dir: Geil war’s!
21 Tage, um von Chemnitz in den Süden Albaniens und wieder zurück zu kommen. Befragt man die Karte, ging die Reise durch sieben Länder, gefühlt ist aber jeder einzelne der elf Stopps eine Welt für sich.

Salzburg, Österreich

Zugegeben: Salzburg ist wohl ein eher untypischer Start für einen Balkan-Roadtrip. Wenn man allerdings am Starttag zu spät aus den Federn kommt und es eher entspannt angeht, drückt man da schon mal ein Auge zu. Und hübsch ist Salzburg mit seinen vielen kleinen engen Gassen, schönen Gärten und den Bergen, die es umgeben, allemal. Da kann man sich zur Feier des Tages auch mal ein Hostel statt einem Campingplatz gönnen und in der Tiefgarage Zähneputzen. Besonders coole Kiddies stürmen kurz vor Ladenschluss die letzte geöffnete Konditorei und kaufen sämtliche Mozartkugeln, um sie dann nachts an einem der vielen beleuchteten Brunnen allesamt zu futtern.

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Bohinjsko Jezero, Slowenien

Oder wie alle Touristen sagen würden, die nicht den Campingplatzbesitzer gefragt haben, wie das hier denn eigentlich auf slowenisch heißt: Lake Bohinj. Obwohl Bohinj in Reiseführern oftmals als der nicht weiter erwähnenswerte Stiefbruder des bekannteren Lake Bleds gehandelt wird, stellt sich in der Realität schnell heraus, dass Bohinj Bled nicht nur an natürlicher Schönheit übertrifft. Statt der tausend Busladungen an Klischee-Touristen gibt es ein vollkommen unbebautes, naturbelassenes Seeufer.

Vogelgezwitscher und Stille statt Autolärm, dazu türkisgrünes Bergwasser, in dem neugierige Forellen auf einen warten. Lake Bohinj liegt mitten in einem Naturschutzgebiet – wenn man ihn umrundet, hat man also nicht nur eine sehr realistische Aussicht auf einige nackte, faltige Männerhintern, die die Vorteile der vielen einsamen Buchten nutzen, sondern beispielsweise auch auf Bergziegen und spektakuläre Landschaft. So geht Perfektion! Allerdings auch nicht ganz ohne Preis: Slowenien hat nicht unbedingt Balkan-typische Preise. Die sind eher ziemlich deutsch.

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Zadar, Kroatien

In der Region um Zadar lohnt es sich, wie überall, nicht vorher zu wissen, wo man die Nacht verbringen wird. Die kleinsten Campingplätze sind die besten! So fanden wir in Petrcane einen wunderschönen und sehr günstigen, kleinen Platz direkt am Meer. Nachtbaden, einsame Strandspaziergänge und Fledermäuse inklusive! Es gibt vermutlich nicht allzu viele bessere Orte, um eine Flasche Wein zu teilen, als einen kroatischen Strand in einer Sommernacht, während ein einheimischer Fischer auf seinem Motorboot langsam vorbeifährt. Zadar selbst ist nicht übel. Nicht übel, aber auch nicht unbedingt sehenswert. Es hat eine nette Altstadt und Meer und obwohl nichts an Zadar wirklich besonders erscheint, ist der Stadt eine entspannende Atmosphäre zu eigen, die, kombiniert mit ein bisschen Sonne und Eis, deinen Tag zu einem schönen machen kann.

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Mostar, Bosnien-Herzegowina

In Bosnien-Herzegowina erwartete uns ein ganz neues Abenteuer: Karte lesen. Etwas, das jemand mit mobilem Internet heute wohl lieber Siri überlässt. Nun, Siri und das mobile EU-Roaming hatten uns verlassen und ich musste ran: ein kleiner Vorgeschmack auf das Abenteuer Bosnien-Herzegowina. Dem Land sieht man die Armut an. Man sieht sie in den Straßenkatzen und -hunden, in nicht fertig gestellten oder zerstörten Gebäuden, in dem Müll, den der Wind durch die Straßen fegt und in den Preisen, die Essen gehen plötzlich auch täglich möglich machen. Und inmitten all der Armut, die auch in Mostar offensichtlich ist, gelangt man plötzlich auf eine Touristenstraße mit aberwitzig vielen Läden, Restaurants und reichen Menschen.

Das Mostar, das die Touristen kennenlernen, umfasst eine einzige Straße, in deren Mitte die berühmte „alte Brücke“ Stari Most die Neretva überquert. Bosnien-Herzegowina hat aber soviel mehr zu bieten als eine alte Brücke. Der Islam ist die größte Glaubensgemeinschaft im Staat und überall in Mostar ragen die Minarette der vielen Moscheen hervor, die so viel spannender sind als die kitschigen Souvenirs der Stari Most. Feigen- und Granatapfelbäume wachsen an Wegrändern und Menschen erzählen von Korruption und erklären, warum sich kein bosnischer Motorradfahrer die Mühe macht, einen Helm aufzusetzen. Du musst nur zuhören.

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Kotor, Montenegro

Montenegro und Bosnien-Herzegowina scheinen keine Nachbarstaaten zu sein. Ganz anders als in Mostar glaubt man sich in Montenegro beinahe an der französischen Riviera. Nicht nur wegen der Preise, auch wegen der niedlichen kleinen Dörfer mit engen Gassen und bunten Blumen vor den Fenstern. Ähnlich wie bei Bled solltest du, wernn du Kotor sehen willst, dessen kleine Stiefschwester Perast nicht verpassen, die sich in vielen, vielen steinernen Stufen hinunter zum Meer schlängelt. Wer es schafft, entspannt an den vielen Bootsbesitzern vorbeizukommen, die an der Küste Ausfahrten zu den kleinen Inseln vor Perast anbieten, dem können auch Perasts Treppen nichts mehr anhaben. Und wer an denen nicht vorbeikommt, der schafft es vermutlich ohnehin nicht mehr nach Kotor.

Für alle Unerschrockenen sind die Stufen ein Vorgeschmack auf den Weg zur Burg, die weit oben über Kotors Stadtmauern thront. Der Weg zur Burg und der darauffolgende Ausblick müssten lohnenswert sein – ich kann es nicht beurteilen. Es hat geregnet.

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Jal, Albanien

110 km/h auf einer der frisch gebauten Autobahnen Albaniens (die ohne Vorwarnung gern mal zwischendrin zum Feldweg werden) und auf dem Haltestreifen fahren von Eseln gezogene Heukarren und kleine Jungen auf Fahrrädern – in entgegengesetzter Richtung. Das scheint auch unser Gefährt zu irritieren, denn plötzlich leuchtet die Motorkontrolleuchte auf. Klasse! In der nächsten Werkstatt verständigen wir uns mit Händen und Füßen darauf, dass der Fehlerspeicher auslesen werden soll. Die Bezahlung besteht in einer Schachtel „West“ und 5 Euro: Geld gewechselt haben wir noch nicht. Als wir am nächsten Kreisverkehr anhalten müssen, um ein Entenküken über die Straße zu lassen, drängelt sich ein Pferdekarren vor. Albanien ist Albanien und Jal, wo wir eher zufällig landen, ist nicht wie Strand-Geheimtipps anderer Länder. Es gibt gefühlt zehn hässliche Häuser und keine Touristen. Das warme Wasser an dem klarsten aller Strände haben wir ganz für uns alleine, den Ausblick auf die vielen Bunker überall in Albaniens Landschaft gibt es inklusive dazu.

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Gjirokastra, Albanien

Auf dem Weg von Jal nach Gjirokastra kannst du wegen des spärlich ausgebauten Straßennetzes Albaniens Saranda und Syri i Kalter kaum verpassen. Ersteres ist eine größere Stadt an der Küste Albaniens, die tatsächlich Ähnlichkeit mit dem hat, was man sich von einer Küstenstadt erwartet und letzteres eine unglaublich türkise, unglaublich kalte, unglaublich faszinierende Quelle in einer Art kleinem Regenwald, die alleine Grund genug ist, nach Albanien zu fahren. Gjirokastra hat einen sehr hübschen alten und einen neuen Stadtteil, für den hübsch nicht unbedingt das richtige Adjektiv ist. Blöd nur, wenn man den sehenswerten Teil ohne Karte oder Albanisch-Kenntnisse und im Dunkeln nicht findet. Aber in Albanien ist man nie verloren. Dann holt schon mal der Ladenbesitzer seinen Sohn, der seine Großtante ruft, die ihre Nichte im Pyjama aus dem Bett holt, weil sie Englisch spricht. Danke dafür! Und danke auch für die albanischen Preise: Ein Doppelzimmer mit Frühstück in einem anderthalb Monate alten 4-Sterne-Hotel mitten im Stadtzentrum – für 40€.

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Tirana, Albanien

In der albanischen Hauptstadt Tirana holt uns das Chaos unserer nichtexistenten Planung dann doch noch ein. Spontan einen Schlafplatz in Tirana zu finden, ist nämlich ein Ding der Unmöglichkeit: Entweder ohne Parkplatz oder unbezahlbar. Noch dazu ist der Verkehr so anstrengend, dass ich als Beifahrer multiple Male einem Herzinfarkt sehr nah bin. Nein, die Stadt ist nicht schön, aber spannend. Die Randgebiete sind slum-ähnliche Vorstädte, in denen oft Wellblech vorherrscht. Die Innenstadt besteht aus hässlichen grauen Blöcken, denen hübsche einstöckige Gebäude mit Cafés, Restaurants und Läden vorgesetzt sind, um die Illusion eines hübschen Zentrums vorzutäuschen (was übrigens nicht gelingt). Nichts mit Melting Pot: Tirana ist eindeutig eine Salad Bowl, gewürzt mit den Spuren der kommunistischen Diktatur, die noch bis vor 20 Jahren hier Bunker sprießen ließ wie Unkraut.

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Durmitor Nationalpark, Montenegro

Montenegro sieht auf einmal aus wie Bosnien-Herzegowina. Einsame Hütten, karge, aber wunderschöne Mondlandschaft, dazwischen Schafherden mit Hirten und Kühe, deren Euter halb so groß sind wie die der deutschen Milchviecher. Der Nachteil fällt erst beim Aussteigen aus dem Auto auf: Es ist kalt. Sehr kalt. Und ich trage, noch optimistisch von Albanien, ein Sommerkleid. So hatten wir uns Sommerurlaub nicht vorgestellt! Wir beschließen, weiterzufahren – und halten dennoch mitten in den Bergen, umgeben von nichts als Natur (und vermutlich ein paar Bären), erneut. Wir schaffen es nicht bis zum nächsten Stopp und sowieso – was gibt es Schöneres, als mitten in den einsamen Bergen bei Minusgraden zu zweit im Auto zu schlafen? Besonders, wenn ein und dasselbe Auto erst ganz langsam vorbeifährt und eine Stunde später aus der anderen Richtung kommt und sehr langsam genau neben dem eigenen Schlafplatz wendet und aufmerksame Blicke ins Auto wirft. Der Sternenhimmel konnte davon leider auch nur genauso lang ablenken, bis das Dachfenster angelaufen war.

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Sarajevo, Bosnien-Herzegowina

Der eindeutig angenehmste Einstieg in den Tag: morgens in deinem Zelt liegen, vom atemberaubend schönen Gesang des Muezzins geweckt werden und unbeschreiblich glücklich sein. Sarajevo ist eine sehr große und spannende Stadt, die ihre Geschichte nicht zu verbergen sucht. Es gibt belebte Moscheen zwischen Touristenläden und den traditionellen Ćevabdžinicas, leckeres Baklava und den unbeschreiblich leckeren starken bosnischen Kaffee, der dir heiß und süß die Kehle hinunterrinnt. Aber es gibt auch, wie überall in Bosnien-Herzegowina, Straßenschilder und sogar alte Häuser voller Einschusslöcher. Es lässt sich nicht verbergen, dass der Krieg noch nicht allzu lang vorbei ist.

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Plitvicka jezera, Kroatien

Touristen, Touristen, Touristen. Die engen Holzstege, die durch den Nationalpark Plitvicer Seen führen, sind voller Rentner, die die meiste Zeit stehen bleiben, um Fotos zu machen (meist mit Blitz). Ja, du bist nicht der einzige, der dieses Naturspektakel nicht verpassen möchte. Deswegen: Am besten ganz viel Zeit, Schokolade und innere Ruhe mitbringen. Denn überholen ist nicht und die Preise tragen ebenso wenig wie die Menschenmassen zu guter Laune bei. Was geboten wird, ist dennoch sehr sehenswert, so dass man sich mit den Umständen gern arrangiert. Und spätestens wenn du, wie wir, auf dem Campingplatz noch Leute kennenlernst, die dich auf eine Runde Beerpong einladen, ist eh alles wieder gut.

Ljubljana, Slowenien

In Ljubljana fühlt man sich wieder ganz in Westeuropa angekommen. Möchte man Bus fahren, muss man vorher erst eine wieder aufladbare Karte kaufen und auch sonst scheint Slowenien Deutschland einiges voraus zu haben. Die Innenstadt Ljubljanas ist beispielsweise angenehm autofrei und durchzogen von kleinen Gässchen und der grün und sauber dahinfließenden Ljubljanica. Zusätzlich zu dem überdachten und dem Markt an der frischen Luft gibt es jeden Freitag einen Gourmet-Markt, auf dem Köstlichkeiten zu saftigen Preisen verkauft werden (die aber meist auch jeden Cent wert sind).

Hipster neben Omi neben Touri sitzen dann alle aufgereiht auf den Treppen neben dem Marktplatz, genießen und lachen und trinken und waschen sich die Hände am Trinkwasserbrunnen nebenan. Sehenswert ist auch der Ausblick von der Burg, die über Ljubljana thront, vom Botanischen Garten kann man allerdings eher abraten. Trink stattdessen lieber einen Cocktail mehr in einer der kreativ eingerichteten Bars und stapfe danach mit deinem ältesten Reise-Rucksack und schlammigen Schuhen durch die noble Galerija Emporium, um reiche Leute beim Anzug kaufen zu beobachten.

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Wenn du jetzt auch direkt Lust hast, dich ins Auto zu setzen und Richtung Balkan zu düsen, besorg dir unterwegs noch schnell eine Karte: Du wirst sie brauchen. Teuer wird es nicht, dafür umso interessanter. Der Balkan ist nichts für Planungs-Fetischisten. Liebhaber von Pauschalreisen sollten auch lieber auf Malle bleiben, aber alle anderen werden hier ein kleines, günstiges Urlaubsparadies finden, das sämtliche Erwartungen problemlos erfüllen kann. Horizonterweiterung inklusive.

Alisa Sonntag
Ein Beitrag von Alisa Sonntag

Studiert Politik und Kommunikation in Dresden. Rempelt auf der Straße versehentlich fremde Menschen an, weil sie mit der Zunge Schneeflocken fängt. Leidenschaftlicher Genussmensch, niemals pünktlich, aber immer unterwegs auf der Suche nach neuen Geschichten. Gesammelte Werke findet ihr auf www.whothefckisalice.wordpress.com

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